Mediennutzung von Schüler:innen mit besonderem Förderbedarf – Linktipps zu aktueller Forschung 

In der täglichen heilpädagogischen Arbeit ist der Medienkonsum und die Mediennutzung von Schüler:innen allgegenwärtig – Entscheidungen dazu beruhen aber häufig noch auf subjektiven Erfahrungen und Theorien. Doch nach und nach gibt es immer mehr Daten zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen – auch im Vergleich zu Gleichaltrigen. Dabei kann aber (noch) nicht auf die grossen repräsentativen Mediennutzungs-Studien zurückgegriffen werden.  

Eine repräsentative Studie zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz ist die «MIKE-Studie» (Medien, Interaktion, Kinder und Eltern) der ZHAW. Für die neueste Version 2019 wurden rund 1000 Primarschüler:innen und 500 Eltern befragt. 

Da die teilnehmenden Schulen schweizweit nach einem Stichprobenverfahren ausgewählt wurden, ist davon auszugehen, dass sich darunter auch inklusive/integrative Schulen befanden. Besondere Förderbedarfe werden in der Studie analog zum deutschen Vorbild «Kindheit, Internet, Medien (KIM)» aber nicht ausgewiesen. Daher sind keine Daten für Schüler:innen mit besonderen Förderbedarfen darin enthalten. Es ist zudem davon auszugehen, dass durch die Befragungsmethoden nicht alle Schüler:innen mit spezifischem Förderbedarf erreicht werden können.  

Auch die alle zwei Jahre von der ZHAW durchgeführte Studie zu Jugend – Aktivität – Medien (JAMES), welche repräsentativ das Mediennutzungs- und Freizeitverhalten der 12 bis 19jährigen Schweizer:innen untersucht, erhebt das Merkmal Behinderung oder Beeinträchtigung nicht.  

Die umfänglichsten Daten zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen liefert die Mekis Studie – Medienkompetenz in der sozialen Arbeit (Steiner, Heeg, Schmid & Luginbühl, 2017) der FHNW. Darin sind zwar keine unmittelbaren Daten zu Mediennutzung von Schüler:innen mit spezfischem Förderbedarf enthalten. Da die Befragungen in stationären Jugendeinrichtungen durchgeführt wurden, ist davon auszugehen, dass diese zumeist Schulheime sind. Befragt wurden dabei die Fachpersonen. Wesentliche Erkenntnisse, die auch für die Schule relevant sind:  

Digitale Medien sind auch in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe weit verbreitet. Die Ausstattung mit Desktops und Laptops ist hoch und die meisten Kinder und Jugendlichen besitzen ein eigenes Smartphone. Dennoch hat ein relevanter Anteil der Kinder und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Schweiz keinen kostenlosen Zugang zum Internet. Sie haben zudem deutlich selte‐ ner Zugang zu Spielkonsolen und Tablets als Kinder und Jugendliche in Familienhaushalten. Software, die eine aktive und kreative Mediennutzung erlaubt, wird eher selten zur Verfügung gestellt.   

Digitale Medien sind in den Einrichtungen ein hoch aktuelles Thema. Im sozialpädagogi‐ schen Alltag thematisieren Fachpersonen häufig exzessive Mediennutzung der Kinder und Jugendli‐ chen und hohe Kosten für die Nutzung digitaler Medien (Handy‐Abonnemente). Die Mediennutzung für schulische Zwecke ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Gespräche zu kreativen oder partizipativen Nutzungsweisen digitaler Medien werden seltener geführt. Die Gesprächshäufigkeit der Fachpersonen hängt von der Medienkompetenz der Fachpersonen ab. 

(Steiner, Heeg, Schmid & Luginbühl, 2017, 2 / 4) 

Die Nationale Plattform zu Förderung von Medienkompetenz Jugend und Medien nimmt direkt Bezug auf die Mekis Studie. Unter der Rubrik Fachpersonen finden sich auch ein Reiter für die Sonderpädagogik. Dort sind Praxistipps für die Förderung von Medienkompetenz in Institutionen zu finden, wie auch eine gute praxisnahe Zusammenfassung zum Thema “Digitale Medien und Behinderung”. Schritt für Schritt wird aufgezeigt, wie Institutionen ein Medienkonzept entwickeln können. Für Fachpersonen weiterhin empfehlenswert ist die Broschüre MEDIENKOMPETENZ IN SOZIAL-, HEIL- UND SONDERPÄDAGOGISCHEN INSTITUTIONEN. LEITFADEN ZUR STANDORTBESTIMMUNG die 2022 aktualisiert wurde.  

Aus Deutschland liegt seit 2016 eine large scale Studie vor, die sich direkt mit der Mediennutzung von Menschen mit Beeinträchtigungen (Bosse & Hasebrink 2016) befasst. Sie wurde mit insgesamt 610 Personen face-to-face durchgeführt und berücksichtigt Personen ab 14 Jahren. In ihrer Mediennutzung spielen Bildung, Alter und Wohnform eine besondere Rolle. Die Ergebnisse zeigen deutlich: Die Behinderung der Teilhabe in der Mediennutzung entsteht im Zusammenspiel zwischen Beeinträchtigungen und Barrieren, die in der Aufbereitung der Medieninhalte sowie im Zugang zu Medien liegen. Dies bezieht sich sowohl auf die Barrierefreiheit der einzelnen Angebote aus Internet, Fernsehen, Hörfunk und Print, als auch auf die Zugangsgelegenheiten. Die große Mehrheit der Befragten nutzt das Fernsehen regelmäßig. In fast allen Teilgruppen sind es im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sogar mehr Befragte, die regelmäßig fernsehen. Für die Nutzung des Internets lassen sich erhebliche Unterschiede konstatieren. Es wird von einigen Gruppen mit Beeinträchtigungen weniger genutzt als in der Gesamtbevölkerung. Besonders große Differenzen wurden bei Menschen mit Lernschwierigkeiten festgestellt. In dieser Studie wurden in dieser Gruppe Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen zusammengefasst von Menschen mit leichteren Lernschwierigkeiten, über Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, bis zu komplex beeinträchtigten Personen, zusammengefasst. Ob digitale Teilhabe ermöglicht wird, entscheidet sich auch durch die Art und Weise, wie Medienangebote gestaltet und genutzt werden. Die Ergebnisse machen auch deutlich, dass die Digitalisierung durch die Erweiterungsmöglichkeiten des didaktischen Werkzeugkoffers gute Chancen bietet, den didaktischen Spielraum zu erweitern und individuellen Bedarfen besser gerecht zu werden (Bosse & Hasebrink 2016). 

Die Studie von Bosse und Hasebrink (2016) hat sich schwerpunkthaft mit der Mediennutzung von Erwachsenen auseinandergesetzt. Sie ist nicht uneingeschränkt mit der Mediennutzung von Schülerinnen und Schülern gleichzusetzen. Zu Sonderschüler:innen liegen erste qualitative Forschungsergebnisse vor. Im Vergleich von körperbehinderten Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse deutscher Sonderschulen konnte gezeigt werden, dass sich die Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Geräten (Haushalt und persönlicher Besitz) nur geringfügig von den in den repräsentativen Studien (wie z.B. JIM) befragten Jugendlichen unterscheiden. Auch bei den Aktivitäten, die auf digitalen Medien im Alltag (z.B. Musik hören, Spiele spielen) außerhalb der Schulzeit verfolgt wurden, waren die Unterschiede eher gering. Deutliche Unterschiede ließen sich jedoch in der Nutzung sozialer Medien feststellen. So nutzte die Schülerschaft der Sonderschulen beispielsweise die Plattformen Instagram und Snapchat deutlich seltener als die Schülerschaft an den allgemeinen Schulen (Sponholz & Boenisch 2021). 

Hättich hat im Rahmen des HfH Projektes «Media Use of youth in special schools (MUSE)» 2019 erstmals Daten für Schweizer Sonderschulen vorgelegt. Seine Befragung lehnt sich dabei eng an die Schweizer JAMES Studie an, um die Ergebnisse vergleichbar zu machen. Die Befragung von 351 Schüler:innen (12 -19 Jahre) an 48 Sonderschulen nahm das gesamte Medienverhalten, insbesondere die Nutzung von Internet und Handy in den Fokus. Die Ergebnisse waren weitgehend vergleichbar mit Jugendlichen aus Regelschulen: 82% haben ein eigenes Handy, 14% haben eines daheim zur Verfügung, bei 4% ist keines vorhanden. Auch bei den Lieblingsmedien gab es identische Vorlieben, z.B. Fast and Furious, Harry Potter, YouTube, Instagram, Grand Theft Auto V. Jede:r Fünfte erfährt Cybermobbing, 15% erleben Cybergrooming und Sexting. Grössere Unterschiede zu Jugendlichen aus Regelschulen bestanden in problematische Abhängigkeit vom Internet (22,9%) und bei der deutlich geringeren Nutzung von Social Media (Hättich 2019).

Insgesamt wird deutlich, dass sowohl Unterschiede im Zugang zu (digitalen) Medien bestehen, als auch Unterschiede in der Nutzung (in Abhängigkeit zu Motivation, Einsatzzwecken, individuellen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Wissen über die Nutzung). Für die Schule bedeuten diese Unterschiede im Medieneinsatz Unterschiede in den Lernergebnissen der Schüler:innen und damit unterschiedliche Chancen in Bildung und Beruf. Für die Ausbildung heilpädagogischer Fachpersonen ist dies eng mit den Fragen verbunden: 

  • Welchen Einfluss hat das pädagogische Umfeld auf die Mediennutzung der Schülerschaft? 
  • Wo stehen sächliche Zugangs- und Nutzungsbarrieren der individuellen Teilhabemöglichkeit entgegen und wie können sie abgebaut werden? (Sponholz & Boenisch 2021) 

Literatur

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag